Kognitive Verzerrung im E-Learning

#Tipps & Tricks
03.03.2017

Die kognitive Verzerrung (englisch „cognitive bias“) ist ein psychologischer Mechanismus, bei dem das menschliche Gehirn systematische Fehler beim Verarbeiten und Interpretieren von Informationen macht. Meist geschehen kognitive Verzerrungen wenn komplexe Inhalte vereinfacht und gefiltert werden müssen.
Trotz beeindruckender Fähigkeiten hat das menschliche Gehirn grundsätzliche Einschränkungen, die es nicht übersteigen kann. Hierzu gehört unter anderem die unendliche und uneingeschränkte Aufnahme von Informationen. Damit dies trotzdem (in einem limitierten Umfang) möglich ist, tendiert das Gehirn dazu sogenannte Faustregeln einzusetzen. Diese helfen dabei der Umwelt den benötigten Sinn zuzuschreiben und Entscheidungen in einem angemessenen Tempo treffen zu können. Jedoch führt eben dieser Einsatz der Faustregeln zur beschriebenen kognitiven Verzerrung. 1

Die kognitive Verzerrung stellt hierbei keinen alleinstehenden Aspekt dar, sondern es gibt eine sehr lange Liste verschiedener „cognitive biases“. Verschiedene Quellen stellen Listen mit bis zu 175 verschiedenen Arten der kognitiven Verzerrung dar. 2

Die untenstehende Abbildung stellt diese (oder zumindest einen großen Ausschnitt dieser) im inneren Zirkel dar. Autor Buster Benson der Homepage betterhumans hat die verschiedenen kognitiven Verzerrungen vier Hauptproblemen zugeordnet, denen der Mensch regelmäßig ausgesetzt ist. 3

 


Finden Sie die Grafik im Großformat hier.

 

1. Zu viel Information

In der heutigen Welt ist das menschliche Gehirn einer zu großen Anzahl an Information ausgesetzt. Daher bleibt ihm nichts anders übrig, als diese Informationen auf eine gewisse Art und Weise zu filtern und zwischen wichtiger und unwichtiger Information zu unterscheiden.
Um gegen dieses Problem anzugehen, versucht es das Gehirn oftmals mit den folgenden Vorgehensweisen:

  • Es nimmt vor allem Dinge wahr, die bereits im Gedächtnis verankert sind oder oftmals wiederholt werden.
  • Das Gehirn wendet sich vor allem neuen, überraschenden, bizarren, witzigen Dingen zu und übersieht bevorzugt ordinäre oder erwartete Aspekte.
  • Veränderungen werden eher wahrgenommen, als alles so ist wie früher.
  • Das Gehirn beschäftigt sich gerne mit Aspekten, die den eigenen Glauben bestätigen.
  • Fehlern bei anderen werden bevorzugt anerkannt als eigene Fehler.

2. Zu wenig Bedeutung

Basierend auf einem gigantischen Overload an Informationen ist es schwer für das Gehirn, der eigenen Umgebung ausreichenden Sinn zuzuschreiben. Damit dieser Sinn hergestellt werden kann, müssen wir ebenfalls die Informationen filtern und (für uns) sinnvoll verbinden. Folgende Vorgehensweisen werden hierfür häufig angewendet:

  • Das Gehirn nimmt bereits in einer kleinen Datenmenge gewisse Wiederholungen und Muster auf. Diese helfen uns unsere Umwelt in unserem Gehirn so zu rekonstruieren, dass diese sich „ganz“ anfühlt, obwohl uns dafür gewisse Informationen fehlen.
  • Informationslücken oder neue Erlebnisse werden oftmals mit Stereotypen, Allgemeingültigkeit und bereits erlebten Geschichten aufgefüllt.
  • Menschen und Dinge, die wir kennen bzw. die uns gefallen werden von unserem Gehirn als besser bewertet als Dinge und Menschen, die wir nicht kennen bzw. nicht gut finden.
  • Das Gehirn vereinfacht Wahrscheinlichkeiten und Nummern, sodass über diese einfacher nachgedacht werden kann.
  • Teilweise glauben wir, dass wir wissen, was andere denken.
  • Das Gehirn überträgt die gegenwärtige Geisteshaltung sowie derzeitige Annahmen auf die Vergangenheit sowie auf die Zukunft.

3. Die Notwendigkeit schnell zu handeln

Damit wir bestmögliche Ergebnisse erzielen können, ist es oftmals nötig so schnell wie möglich zu reagieren. Daher muss das Gehirn Informationen nicht nur filtern und zu Sinn ergänzen, sondern es muss dies auch noch in einem gewissen Tempo erledigen. Um dies erfolgreich tun zu können, vereinfacht das Gehirn das Vorgehen folgendermaßen:

  • Das Gehirn glaubt an die eigene Fähigkeit etwas verändern zu können und ist ebenfalls davon überzeugt, dass das, was wir tut, wichtig ist.
  • Damit wir fokussiert bleiben, wird stets die direkte und zugreifbare Aktion der verspäteten und nicht erreichbaren Aktion vorgezogen.
  • Damit Dinge vollendet werden, sind wir stets motivierter Dinge zu Ende zu bringen, in die wir bereits Zeit und Energie investiert haben.
  • Mit dem Ziel weniger bzw. keine Fehler zu machen, versuchen wir in Gruppen unsere Autonomie sowie unseren Status zu bewahren, damit irreversible Entscheidungen vermieden werden können.
  • Einfache bzw. eindeutigere Optionen werden stets unklaren und komplexen Optionen vorgezogen.

4. Was soll erinnert werden?

Basierend auf dem erstgenannten Problem, nämlich dem gigantischen Informationsüberflusses, muss das menschliche Gehirn nicht nur interessante von uninteressanten Informationen filtern, sondern es muss ebenfalls entscheiden, welche der interessanten Infos behalten und erinnert werden soll. Um diese Entscheidung zu treffen, bedient sich das Gehirn folgenden Vorgehensweisen:

  • Zum Teil bearbeitet das Gehirn Erinnerungen im Nachhinein. Hierbei können Empfindungen verstärkt bzw. abgeschwächt werden.
  • Um Erinnerungen so übersichtlich wie möglich zu halten, werden Besonderheiten oftmals verworfen, um somit Allgemeingültigkeit herstellen zu können.
  • Veranstaltungen und Listen werden auf die grundlegenden Schlüsselelemente reduziert.
  • Generell werden Erinnerungen auf unterschiedliche Art und Weisen aufbewahrt. Dies hängt stets davon ab, wie die jeweilige Erinnerung ursprünglich erlebt wurde.

 

Wie bereits beschrieben, sind all diese Vorgehensweisen nötig, damit das menschliche Gehirn mit seiner Umgebung und dem gigantischen Informationsfluss klar kommen kann. Allerdings werden die beschriebenen Vorgehensweisen durch zahlreiche, verschiedene „cognitive biases“ durchgeführt (s. Abbildung). Eine detaillierte Beschreibung einiger kognitiver Verzerrungen (ca. 60 Stück), kann hier gefunden werden. Dies bedeutet, dass es durch verschiedene kognitive Verzerrungen vor allem zu den folgenden vier Problemen kommt:

  1. Wir können nicht alles (wichtige) wahrnehmen. Daher werden oftmals auch wichtige Informationen übersehen und aussortiert.
  2. Auf der Suche nach Sinn kommt es öfter vor, dass sich das Gehirn in Illusionen verrennt.
  3. (Zu) Schnelle Entscheidungen können oftmals zu schlechten bzw. falschen Entscheidungen führen.
  4. Nachdem mühsam Informationen ausgefiltert wurden, kommt es trotzdem häufig noch dazu, dass die ausgewählten falsch in Erinnerung behalten werden.

Alles in allem ist das Gehirn jedoch weiterhin ein höchst beeindruckendes Organ, das uns weitgehend erfolgreich durchs Leben bringt. Lassen Sie sich nicht von der Existenz der kognitiven Verzerrung verunsichern, denn trotz der Einbußen, wäre sinnvolles Denken ohne sie nicht möglich.

Das Ziel des Artikels ist, den Aspekt der kognitiven Verzerrung leichtverdaulich zu erklären. Es hilft bereits, wenn Sie sich das ein oder andere Mal daran erinnern, dass es so etwas wie einen „cognitive bias“ gibt. Vielleicht handeln Sie dann schon ganz anders?

Abschließend wollen wir noch den Bogen zum E-Learning spannen: Kognitive Verzerrungen treten immer dann auf, wenn das Gehirn mit der Verarbeitung von Informationen zu tun hat. Also ebenfalls beim Lernen bzw. E-Lernen. Von daher ist es durch aus wichtig, dass Ihnen dieser Prozess bewusst ist. Ganz egal, ob Sie E-Learner oder E-Teacher sind. Denn für beide Seiten ist die kognitive Verzerrung ein äußerst wichtiger Aspekt.

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