Lernen mit Autismus

#Tipps & Tricks, #Wissenschaft & Forschung
05.12.2024

Inhalt

Was ist ASS?

Mögliche ASS Symptome

Falsche Annahmen über ASS

Mögliche Herausforderungen beim Lernen

ASSler in Höchstform

Tipps & Tricks

Fazit


Der Begriff „Autismus“ ist Ihnen sicherlich schon einmal begegnet. Oft wissen Menschen jedoch nicht, was sich genau hinter dem Begriff verbirgt. Was bedeutet Autismus? Wie äußert sich Autismus? Welche Herausforderungen begegnen autistischen Menschen im Alltag? Und welche Schwierigkeiten können autistische Menschen im Kontext des Lernens haben?

In diesem Beitrag erfahren Sie die Antworten auf diese Fragen und bekommen zudem noch Tipps & Tricks an die Hand, wie Sie autistische Menschen beim Lernen unterstützen können.

Was ist ASS?

ASS ist die Abkürzung für den Begriff Autismus-Spektrum-Störung. Im Laufe der Jahre hat sich die Bedeutung des Begriffs mehrfach verändert. Aktuell vereint er die Subtypen „Frühkindlicher Autismus“, „Atypischer Autismus“ und „Asperger-Syndrom“. Zuvor vermutetet Unterschiede zwischen diesen Subtypen konnten sich nicht bestätigen, sodass sie unter ASS zusammengefasst wurden. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird anstelle des Begriffs „Autismus-Spektrum-Störung“ jedoch häufig einfach der Begriff „Autismus“ verwendet.

Probleme autistischer Menschen liegen vor allem in den Bereichen der sozialen Interaktion und Kommunikation.

Da Autismus nicht heilbar ist, sind autistische Personen ein Leben lang betroffen. Jedoch kann sich die Symptomatik im Laufe der Jahre verändern.

Man schätzt, dass heute etwa 1% der Bevölkerung zum Autismus-Spektrum gehört. Das wäre bei einer Stadt wie Hamburg mit circa 1,8 Millionen Einwohnern eine Anzahl von etwa 18.000 Menschen. Betroffen sind dabei Menschen jeden Geschlechts und jeden Alters.

Mögliche ASS Symptome

Wie sich Autismus bei betreffenden Personen äußert, ist sehr verschieden. Jeder autistische Mensch hat seine ganz eigene Kombination an Besonderheiten. Hier finden Sie ein paar Punkte, wie sich Autismus bei Menschen äußern kann:

  • Verspäteter oder ganz ausbleibender Spracherwerb
  • Wenig Verständnis für hypothetische Überlegungen oder Rollenspiele
  • Metaphern, Redewendungen und Sprichwörter werden missverstanden
  • Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht und dem Orientierungssinn
  • Schwierigkeiten im Bereich der nonverbalen Kommunikation (z.B. halten von Blickkontakt oder deuten von Mimik, Gestik und Körpersprache)
  • Schwierigkeiten andere Menschen kennenzulernen und Kontakt aufrechtzuerhalten (Mögliche Überlegungen: Wie spreche ich jemanden an? Wie häufig kann ich jemanden kontaktieren? Was unternehmen wir, wenn wir uns treffen? Worüber sprechen wir, wenn wir uns treffen?)
  • Schwierigkeiten Emotionen anderer zu deuten und passend zu reagieren
  • Schwierigkeiten eigene Emotionen zu zeigen, sodass das Gegenüber sie richtig deuten kann
  • Schwierigkeiten das Verhalten an den jeweiligen sozialen Kontext anzupassen (z.B. den Chef anders behandeln als Freunde)
  • Intensive Beschäftigung mit einem oder mehreren genau definierten Interessen
  • Starkes Bedürfnis bestimmte Handlungen auszuführen, die keiner bestimmten Aufgabe oder Tätigkeit dienen
  • Besonders empfindliche oder unempfindliche Sinne
  • Schwierigkeiten die Aufmerksamkeit zu steuern (Sinnesreize werden oft gleichzeitig und nahezu gleichwertig wahrgenommen)
  • Schwierigkeiten bekannte und gelernte Routinen zu verändern

Falsche Annahmen über ASS

Menschen im Autismus-Spektrum sind immer wieder mit gewissen Vorurteilen konfrontiert. Mit den gängigsten soll an dieser Stelle aufgeräumt werden.

Haben alle Menschen im Autismus-Spektrum Spezialbegabungen?

Wenn man das Wort „Autismus“ hört, stellen sich manche möglicherweise einen Menschen mit einem besonderen Talent vor. Aber das triff nicht auf alle Menschen im Autismus-Spektrum zu. Tatsächlich ist es so, dass Spezialbegabungen auch unter autistischen Menschen selten sind.

Haben Menschen im Autismus-Spektrum Empathie?

Da es vielen Menschen im Autismus-Spektrum schwer fällt die eigenen Gefühle unmissverständlich nach außen hin zu zeigen, kann schnell der Eindruck entstehen, dass autistische Menschen gar keine Gefühle hätten. Das ist jedoch genau so wenig wahr wie die Annahme, dass autistische Menschen keine Empathie besäßen. Zumindest, wenn mit Empathie „Mitgefühl“ gemeint ist.

Bei Empathie wird zwischen kognitiver und emotionaler Empathie unterschieden. Die kognitive Empathie beschreibt die Fähigkeit beispielsweise Gefühle eines Menschen anhand von Mimik, Gestik und Tonfall erkennen zu können. Damit haben in der Tat manche Menschen im Autismus-Spektrum Schwierigkeiten. Die emotionale Empathie beschreibt dagegen, wie stark das Mitgefühl für andere Personen ausgeprägt ist, wenn man von deren Empfindungen weiß. Dies ist bei autistischen Menschen tendenziell sogar stärker ausgeprägt als bei Menschen außerhalb des Autismus-Spektrums.

Haben Menschen im Autismus-Spektrum Humor?

Auch Menschen im Autismus-Spektrum haben Humor. Oft finden sie nur andere Dinge witzig als ihre Umgebung. So sind beispielsweise Satire und Wortspiele bei autistischen Menschen oft beliebt.

Haben Menschen im Autismus-Spektrum Interesse an sozialen Kontakten?

Auch autistische Menschen haben Interesse an sozialen Kontakten. Oft wünschen sie sich jedoch eine etwas geringere Anzahl und Intensität als Menschen außerhalb des Autismus-Spektrums. Allerdings sind das Knüpfen und Pflegen von Kontakten zentrale Schwierigkeiten für autistische Menschen. Dies ändert jedoch nichts an den generellen Wünschen an Zugehörigkeit und Verbundenheit.

Sind Menschen im Autismus-Spektrum aggressiv?

Manchmal wird autistischen Menschen zugeschrieben aggressiv zu sein. Dies kann so jedoch nicht bestätigt werden. Auch sind autistische Menschen strafrechtlich gesehen nicht überdurchschnittlich auffällig.

Möglicherweise hat dieses Vorurteil seinen Ursprung darin, dass autistische Kinder in überfordernden Situationen eher dazu neigen aggressiv zu werden. Diese Aggression richtet sich dann jedoch nicht gegen eine Person, sondern gegen den Sachverhalt, der die Überforderung ausgelöst hat. Im Laufe der Jahre können aktiv oder passiv Strategien entwickelt werden, sodass es gar nicht erst zu einer Überforderung kommt. Oder aber im Falle einer eintretenden Überforderung mit den Emotionen anders umgegangen werden kann.

Können sich Menschen im Autismus-Spektrum verändern?

Veränderungen sind für Menschen im Autismus-Spektrum oft keine leichte Angelegenheit. Bekanntes lässt einen sicher fühlen, während Unbekanntes dieses Gefühl von Sicherheit nicht bieten kann. Grundsätzlich ist es autistischen Menschen aber möglich sich zu verändern. Diese Veränderungen brauchen nur ggf. etwas mehr Zeit. Das gilt sowohl für von außen herangetragene als auch selbst gewollte Veränderungen. Hilfreich können hier freundliche Unterstützung und ein geduldiges Umfeld sein.

Mögliche Herausforderungen beim Lernen

Autistischen Menschen begegnen je nach Ausprägung ihres Autismus verschiedene Herausforderungen beim Lernen. Hier wollen wir einmal manche mögliche thematisieren.

Im Fortbildungspodcast des Berufsbildungswerks Hamburg wird davon gesprochen, dass für viele autistische Menschen der Kontext eine relevante Komponente beim Lernen ist. Um zu verdeutlichen, was damit genau gemeint ist, wird das sogenannte „Paprikabeispiel“ herangezogen. Lernt ein autistischer Mensch in einer Mensa eine gelbe Paprika zu schneiden, dann wurde diese Fähigkeit erlernt und kann auch wiederholt werden. Jedoch gilt das nur für das Schneiden einer gelben Paprika in der Mensa, in der dies erlernt wurde. Liegt nun anstelle einer gelben eine grüne oder rote Paprika bereit, kann dies unter Umständen Schwierigkeiten für autistische Menschen hervorrufen. Denn das haben sie „nicht gelernt“. Während für Menschen ohne Autismus die Farbe der Paprika eine geringe oder keine Rolle spielt, kann das bei autistischen Menschen ganz anders aussehen. Auch, wenn sich der Ort ändert und sie zum Beispiel zuhause eine Paprika schneiden sollen. Das ist ebenfalls ein anderer Kontext und kann manchen autistischen Menschen Schwierigkeiten bereiten. Erlernte Dinge können demnach nicht sofort auf eine andere Situation übertragen werden.

Texte, bei denen Verhaltensweisen oder auch soziale Beziehungen zwischen Personen interpretiert werden müssen, können für autistischen Menschen Herausforderungen bereithalten. Gleiches gilt für metaphorische Ausdrucksweisen, Sprichwörter oder Redewendungen. Das Erkennen von Ironie kann ebenfalls eine Hürde sein. Derartige Aufgaben setzen Fähigkeiten zur sprachlichen Dekodierung und auch Fähigkeiten im Bereich der kognitiven Empathie voraus. Dies fällt autistischen Menschen aber bekanntermaßen schwer.

Manchen autistischen Menschen fällt es auch nicht leicht Entscheidungen zu Treffen und Dinge zu priorisieren. So werden Aufgaben eines Tests tendenziell der Reihenfolge nach bearbeitet, anstatt zunächst die Aufgaben anzugehen, bei denen man sich im Hinblick auf die Antworten sicher ist.

Allgemein ist Spontanität nicht unbedingt eine Stärke autistischer Menschen. Auch „einfach mal loslegen“ und „schauen was passiert“ gehört oft nicht zur Arbeits- und Lernweise autistischer Menschen.

Ändert sich spontan der Lernraum, die Uhrzeit oder auch die Lehrperson kann das für manche autistische Menschen herausfordernd sein. Die bekannte „Routine“ wird hier über den Haufen geworfen, das Sicherheitsgefühl geht dadurch verloren und Stress wird ausgelöst.

Weitere äußere Umstände, die das Lernen erschweren können, sind beispielsweise gewisse Geräusche oder auch Gerüche. Diese können bei autistischen Menschen zu zusätzlichem Stress führen und das Arbeitsgedächtnis unnötig belasten.

ASSler in Höchstform

Trotz all der möglichen Schwierigkeiten, die autistischen Menschen tagtäglich begegnen, hat Autismus nicht nur Schattenseiten.

Die persönlichen Interessen können eine essenzielle Quelle der Entspannung für autistische Menschen sein. Selbst, wenn es sich bei den Interessen um Dinge handelt, die eine große geistige Anstrengung erfordern. Durch die Tendenz Dinge gerne genau und in jedem Detail verstehen zu wollen, kann es passieren, dass autistische Menschen eine große Expertise im Bereich ihrer Interessen entwickeln können.

Generell haben autistische Menschen hohe Qualitätsansprüche an ihre Arbeit, pflegen eine überlegte Herangehensweise und arbeiten sorgfältig.

Tipps & Tricks

Um autistischen Menschen das Lernen zu erleichtern, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Hier finden Sie eine Auswahl an Ideen zur möglichen Umsetzung. Natürlich ist nicht jede Idee für jede Person geeignet. Probieren Sie also gerne verschiedenen Dinge aus und tauschen Sie sich mit den betroffenen Personen darüber aus, was am besten funktioniert.

Strukturell-organisatorische Möglichkeiten

  • Die Wahl des Sitzplatzes in einem Raum könnte an die Bedürfnisse der Person angepasst werden. Beispielweise kann für ruhige Arbeitsphasen ein zusätzlicher Arbeitsplatz ein Stück abseits der anderen Lernenden angeboten werden, durch den eintreffende Reize reduziert werden.
  • Es könnten spezielle Arbeitsmittel wie Computer, spezifische Arbeitsblätter, spezielle Stifte oder auch Kopfhörer, Sonnenbrillen oder Sichtschutze zugelassen oder bereitgestellt werden.
  • Für Prüfungen könnte ein gesonderter Raum angeboten werden.
  • Es könnten erweiterte Zeitvorgaben bei Prüfungen angeboten werden. Sofern gewollt und umsetzbar kann auch die Überlegung angestrebt werden, ob beispielweise das Abitur, das Studium, die Weiterbildung, etc. in Teilzeit anstatt in Vollzeit absolviert werden kann.
  • Statt mündlicher Leistungsnachweise könnten schriftliche angeboten werden und anders herum.
  • Pausen können bei autistischen Menschen hohe soziale Anforderungen verlangen, die schnell überfordern können. Hier könnte eine gesonderte Pausenregelung sinnvoll sein, bei der autistischen Personen ggf. eine Rückzugsmöglichkeit angeboten wird.
  • Es kann autistische Menschen entlasten, wenn eine stunden- oder phasenweise Entbindung der Anwesenheitspflicht angeboten werden kann. Natürlich nur so weit die erbrachten Leistungen durch dieses Angebot nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.

Inhaltlich-methodische Möglichkeiten

  • Die Erwartungen an die Aufgabenbearbeitung sollten so transparent wie möglich gemacht werden.
  • Bei der Textproduktion bestimmter Texte bzw. Textarten könnten Strukturierungshilfen angeboten werden.
  • Wird mit Metaphern gearbeitet, kann die Bereitstellung eines Wörterbuchs mit Hinweisen zu Metaphern autistische Lernende beim unmissverständlichen Verständnis unterstützen.
  • Sofern es der Lerninhalt zulässt, könnten sachbezogene Texte anstelle von fiktionalen Texten, die oft mit einer Vielzahl zu interpretierender sozialer Bezüge ausgestattet sind, verwendet werden.
  • Aufgaben in Prüfungen könnten so gestellt werden, dass auch eine sachorientierte, argumentative Auseinandersetzung mit einem Text möglich ist.

Fazit

Autistische Menschen sehen sich alltäglich mit verschiedensten Problemen und Herausforderungen konfrontiert. Hier angesprochene Vorschläge haben demnach nichts damit zu tun, dass jemand irgendwelche „Extrawürste“ bekommt oder man von „ungerechten Sonderbehandlungen“ reden könnte. Diese Vorschläge können bei Umsetzung dafür sorgen, dass autistischen Menschen das Lernen überhaupt erst ermöglicht wird. Scheuen Sie sich also nicht ihre autistischen Lernenden zu fragen, wie Sie sie am besten beim Lernen unterstützen können. Denn grundsätzlich haben auch autistische Menschen große Freude daran zu lernen.

 

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Quellen: 

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Dr. Moritz Schulz,
Geschäftsführer

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